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Die Ruhrgebiets-Szene-Zeitschrift MARABO berichtete in der Ausgabe 7/95:

Marabo 7/95

Der Originaltext:

     Obwohl bereits die erste Abrißgenehmigung für die Häuser vorliegt, geben die Bewohner der Oberhausener Arbeitersiedlung "Ripse" nicht auf. Jetzt gibt es nach einem sich andeutenden Stimmungswandel in der SPD-Ratsfraktion neue Hoffnung, die Siedlung doch noch zu retten.

     Es gibt sicherlich nettere Flecken im Ruhrgebiet: Der Lärm von der Autobahn 42 ist ebenso deutlich zu hören wie die Güterverkehrstrasse der Deutschen Bahn AG. Die Gerüche der vorbeifließenden Emscher sind auch nicht immer vom fcinsten. Dennoch: "Die alte, um 1900 erbaute Werkssiedlung der Thyssen Stahl AG versetzt die Besucher in eine andere Zeit Kinder spielen auf der StraBe und vor den Häusem sitzen Menschen."

     Diese Idylle, die ein Beobachter in der Oberhausener Siedlung an der Ripshorster, Werk- und Thomasstraße südlich vom Rhein-Herne-Kanal beschrieb, sehen die Bewohner bedroht. Denn für das Haus Werkstraße 14/16 liegt eine gültige Abrißgenehmigung vor. "Wenn dieses Haus plattgemacht wird, fällt die ganze Siedlung", befürchtet Volker Wilke, Bewohner des Nachbarhauses. "Nach 15 Jahren wäre das die erste Arbeitersiedlung, die wieder der Abrißbirne zum Opfer fiele.'' In den 22 Häusem mit insgesamt 68 Wohnungen würden die 270 Bewohner nicht nur billigen Wohnraum. den sie mit großem Aufwand selbst saniert haben, verlieren. "Es würde auch eine Möglichkeit für innovative und experimentelle Wohn- und Lebensformen verschwinden". so Wilke, In der 'Ripse' , wie die Siedlung genannt wird, leben kurdische, türkische, griechische, spanische. deutsche, Familien, Wohngemeinschaften, alleinerziehende Frauen, Künstler und Arbeitslose zusammen, "ein Mix, der Modellcharakter hat und funktioniert." Und das lange Zeit geräuschlos, kaum wahrgenommen von den meisten Oberhausenern.

     In den Blickpunkt rückte die 'Ripse' Ende der 80er Jahre, als die Stadt auf dem mittlerweile stillgelegten Thyssengelände in Sichtweite der Siedlung das riesige Einkaufszentrum der kanadischen Triple Five Corporation bauen wollte. Das 'Superhausen'-Projekt erledigte sich fast von selbst. Auch von CentrO., dem Nachfolgeprojekt, sehen die 'Ripse'-Bewohner den Erhalt ihrer Siedlung bedroht. Deshalb klagte Volker Wilke 1993 gegen den Bebauungsplan. Eine Überraschung erlebte er vor dem OberVerwaltungsGericht (OVG) in Münster: "Der zustandige Senat vertrat die Ansicht, daß wir eigentlich nicht klageberechtigt seien, da nur Werksangehörige von Thyssen in der Siedlung leben dürften."

     Erhielt der CentrO.-Bau dank dieses "Schlupfloches" (so Wilke) im Mai vergangenen Jahres den notwendigen juristischen Segen, so spitzte sich die Lage für die 'Ripse'-Bewohner langsam zu. Denn die von ihnen bewohnten Häuser sind, so die Quintessenz des OVG-Bescheides. "baurechtlich nicht legalisiert". Wohnberechtigt seien nur die 250 Arbeiter aus dem Elektrostahlwerk an der Osterfelder Straße. von denen gerade einmal fünf in der Siedlung leben. Folgerichtig schickte die Oberhausener Stadtverwaltung der Thyssen Wohnstätten AG, als Besitzerin. eine Ordnungsverfügung mit der Aufforderung, freiwerdende Wohnungen nicht mehr neu zu vermieten und unzugänglich zu machen.

     So stellte denn das Thyssen-Tochterunternehmen im Februar einen Abrißantrag für das Haus Werkstraße 14/16, nachdem einer der dortigen Bewohner verstorben war. Die Abrißgenehmigung ließ nicht lange auf sich warten, was die Bewohner endgültig auf die Palme brachte. Eleni Vassiliadis, Bewohnerin des vom Abriß bedrohten Hauses Werkstraße 14, ist sauer: "Einen Tag bevor wir von der Abrißgenehmigung gehört hatten. haben wir noch Tapeten und neue Böden gekauft, um unsere Wohnung weiter zu sanieren." Für ihre fünfköpftge Familie eine gleichgroße Wohnung (80 qm) zu vergleichbaren Preisen (Kaltmiete 403 Mark) zu finden. sei für sie ein Ding der Unmöglichkeit.

     Mit Demonstrationen z.B während der Preisverleihung der Oberhausener Kurzfilmtage, mit Briefen an das Düsseldorfer Bauministerium oder die Zentrale der Internationalen Bauaustellung Emscher Park in Gelsenkirchen, zu deren Schwerpunkten der Erhalt und die Sanierung von Arbeitersiedlungen zählt, gingen sie gezielt an die Öffentlichkeit. Auch im Oberhausener Stadtparlament ging es emotional zu. CDU-Fraktionchef Heinz-Jörg Eckhold warf Volker Wilke, der seit der Kommunalwahl im Oktober 1994 als parteiloser Kandidat zur vierköpfigen bundnisgrünen Ratsfraktion gehört, vor: "Sie selbst haben der Siedlung mit dieser Klage einen Bärendienst erwiesen." Wilkes Konter: "Das Rechtsverständnis von Herm Eckhold läßt zu wünschen übrig, denn mehr als von meinen Bürgerrechten Gebrauch zu machen, habe ich gar nicht getan. SPD und CDU müssen sich bei einem möglichen Abriß vorwerfen lassen, billige Wohnungen zu zerstören - und das in einer Zeit, wo preiswerter Wohnungraum knapp ist."

     Einen ersten Teilerfolg haben die 'Ripse'-Bewohner erzielt: Die wochenlangen Proteste ließen die SPD-Mehrheitsfraktion nicht unbeeeindruckt. Auf ihrer Klausurtagung am Himmelfahrtstag in Bielefeld sprachen sich die Sozialdemokraten nach kontroverser Diskussion einmütig für den Erhalt der Siedlung aus. Für 'Ripse'-Bewohner und Ratsherr Wilke eine große Uberraschung: "Jahrelang waren wir für die Genossen die Schmuddelkinder Oberhausens, da in der Siedlung von Hausbesetzem bis Multi-Kulti alles zusammenkam, was absolut nicht ins Bild vom modemen und gigantischen CentrO.-Projekt paßt." Reinhard Frind, SPD-Fraktionsgeschäftsführer kann sich sogar vorstellen. die Siedlung zu vergrößem: "Wir werdcn die Pläne verfolgen, die bei einem städtebaulichen Wettbewerb Anfang der 90er Jahre vorgestellt worden sind." Klar sei nur eines: Die Stadt Oberhausen mit ihrem Haushaltsloch könne diese Investitionen nicht aufbringen.

     Ob Thyssen-Wohnstätten als Investor einspringt, bleibt abzuwarten. Erst einmal will die Duisburger Thyssen-Zentrale die Abriß-Diskussion vom Tisch bekommen. "In der derzeitigen Diskussion um den wohnungspolitischen Erhalt bzw. um die planungsrechtliche (Un)Zulassigkeit der Siedlung verfolgen wir weder eigene Ziele noch eigene wohnungwirtschaftliche Interessen" ließ der Vorstand der Thyssen-lmmobilien verlauten. "Völlig leidenschaftslos", so ein Sprecher, verfolge man die derzeitige Debatte, "die Ordnungsverfügung kam schließlich von der Stadt und wir sind deshalb rechtlich zu unserem Handeln gezwungen worden."

     Damit hat Burkhard Drescher, der Oberhausener Verwaltungschef den 'Schwarzen Peter' in der Hand. Er muB nun eine Lösung suchen, die sowohl die OVG-Richter in Münster als auch seine eigenen Parteifreunde überzeugt. Auf diesen Spagat ist Volker Wilke gespannt: "Wir werden solange weiter Rabatz machen, bis Drescher den Erhalt der Siedlung endgültig geregelt hat." Immerhin hat Drescher alle Beteiligten erst einmal zu einem 'Runden Tisch' eingeladen. Ein Silberstreif am Horizont ist allemal erkennbar.

Ralf Köpke    





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